Inhalt

    Urteilsheuristiken: Irrational entscheiden Kund:innen schneller

    Urteilsheuristiken sind eine Gruppe kognitiver Verzerrungen, die uns bei Entscheidungen und Urteilen beeinflussen. Wieso du vor allem als Unternehmer:in oder Marketer:in mehr darüber wissen solltest?

    Weil wir täglich Tausende Entscheidungen und Urteile treffen! Laut Hirnforscher Ernst Pöppel fällen wir genau genommen rund 20.000 Urteile am Tag! Dazu gehören natürlich auch eine Menge Kaufentscheidungen.

    Menschen treffen am Tag ca. 20000 Entscheidungen und nutzen hierfür oft Urteilsheuristiken

    All diese Entscheidungen werden nicht rational getroffen. Dafür spielen unsere Emotionen und eben die vielen kognitiven Verzerrungen eine zu große Rolle in unserem Denken und Handeln. Das zeigt die Forschung in den Bereichen Neuro-Ökonomie und Neuromarketing immer deutlicher.

    Für Unternehmen hat das natürlich direkte Auswirkungen auf den Umsatz: Was sind Urteilsheuristiken, welche gibt es und wie können wir ihnen trotzen oder sie nutzen, sodass der Unternehmenserfolg nicht unter unserer angeborenen Irrationalität leidet? Hier erfährst du´s!

    Wie Urteilsheuristiken uns bei Entscheidungen helfen

    Urteilsheuristiken sind mentale Faustregeln, die uns die Beurteilung von Dingen, Situationen und Sachlagen vereinfachen.

    Anders gesagt: Urteilsheuristiken bzw. Entscheidungsheuristiken sind Strategien, die Entscheidungsprozesse beschleunigen.
    Eine mögliche Maßnahme von Urteilsheuristiken ist es, nicht alle Informationen ausgiebig zu berücksichtigen.

    Der lange Weg einer rationalen Entscheidungsfindung im Vergleich zu getroffenen Entscheidungen mittels Urteilsheuristiken

    Ausnahmslos alle Dienstleistungen und Produkte laufen erst einmal durch den Filter der Urteilsheuristiken, die die Zügel unseres Denkens und unserer Kaufentscheidungen fest in den Händen halten.

    Nicht überzeugt? Hier ist ein Beispiel

    Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich die Dienste von Reiseunternehmen A für meinen Urlaub in Anspruch nehmen will: Deshalb vergleiche ich verschiedene Anbieter. Das wirkt erstmal richtig rational, oder? Doch ist dir mal aufgefallen, dass man meistens nicht ALLE Optionen bei seinen Vergleichen miteinbezieht?

    Irgendwo wird bereits vorher gefiltert. Und dieser Filter ist ein Konstrukt aus Emotionen (beispielsweise ein gedankliches „Bäh“ oder „Uiii“ beim ersten Eindruck der Webseite) und Erinnerungen an ähnliche Situationen („Puh, einen Reiseanbieter aus der Ecke hatte ich schonmal, das war kompletter Mist“). Oder ich schaue, ob die Personen auf der Team-Seite sympathisch wirken. Ein Foto sagt ziemlich wenig über eine Person aus: Aber es reicht, um uns unbewusst zu einem ersten Urteil zu bringen.

    All diese unterschiedlichen Faktoren können zu einer verzerrten bzw. nicht objektiven Wahrnehmung führen, die unser Urteilsvermögen beeinflusst.

    Wichtig: Begriffe wie „Strategie“ oder „Maßnahme“ lassen bewusste Intentionen vermuten. Doch meistens agieren Urteilsheuristiken im Unterbewusstsein – wir haben keine Ahnung, dass unsere Entscheidungen nicht völlig rational getroffen werden.

    Verstärkende Faktoren der Urteilsheuristiken

    Gäbe es keine Urteilsheuristiken, würde unser Gehirn wahrscheinlich ständig heiß laufen und überkochen. In anderen Worten: Jede Entscheidung mit analytischer Präzision zu treffen, würde uns heillos überfordern.

    Es gibt jedoch Situationen, in denen wir uns ganz besonders stark auf unsere mentalen Faustregeln verlassen. Folgende Situationen bzw. Faktoren verstärken die Wirkung der Urteilsheuristiken:

    • Zeitmangel
    • Zu große Informationsmengen
    • Unwichtige Probleme (in unseren Augen)
    • Fehlende Erfahrung mit einem Problem

    Denken wir jetzt an die Verfassung von Angebot-Suchenden auf Google, merken wir: Viele dieser Faktoren spielen beim typischen Internet-Nutzer vermutlich häufig eine Rolle. Zeitmangel ist ein Symptom unserer hektischen Zeit. Die Informationsüberflutung des Internets ist keine Neuigkeit und häufig haben Nutzer:innen selbst wenig Erfahrung mit einem Problem, für das sie online eine Lösung suchen.

    Man kann ja schließlich nicht alles wissen. Wäre ich eine Computer-Expertin, müsste ich meinen Laptop vermutlich nicht bei jedem Aufmucken zu entsprechenden Dienstleister:innen schleppen. Und mit handwerklichen Tätigkeiten kenne ich mich auch nicht gut genug aus, um objektive und wirklich fundierte Entscheidungen zu treffen, wer mein Badezimmer neu macht.

    Welche Urteilsheuristiken gibt es?

    Ich spreche von Urteilsheuristiken, weil es mehrere gibt, beispielsweise die Anker­heuristikAffekt­heuristikVerfügbarkeits­heuristik und die Repräsentativitätsheuristik. Falls du nicht die kompletten Beiträge zu den einzelnen Urteilsheuristiken lesen möchtest, bekommest du hier eine schnelle Übersicht:

    Verfügbarkeits­heuristik

    Die Verfügbarkeitsheuristik, auch Availability Heuristic genannt, besagt folgendes:

    „Wenige individuelle und einfach abrufbare Erinnerungen führen zu verzerrten Urteilen einer größeren Sachlage.“

    Was macht Erinnerungen „einfach abrufbar“? Folgende Faktoren:

    • Salienz

    • Veranlagung

    • Einfachheit

    Anker­heuristik

    Die Ankerheuristik wirkt wie folgt:

    „Beurteilungen und Schätzungen basieren auf (kurz) vorher wahrgenommenen Zahlen“

    Affekt­heuristik

    Laut der Affektheuristik reagieren wir auf alltägliche Situationen nicht mit „Was denke ich“, sondern mit „was fühle ich“.

    Wie verheerend die Konsequenzen der Affektheuristik sein können, zeigen Studien zu ärztlicher Betreuung:

    So werden bei unbeliebteren Patient:innen häufiger schwerwiegendere Diagnosen getroffen. Wenn Ärzt:innen ihre Patient:innen mögen, werden diese im Gegensatz dazu als weniger schwerwiegend beeinträchtigt wahrgenommen. Auch dies kann Fehldiagnosen zur Folge haben.

    Beispiele

    Verfügbarkeitsheuristik

    Im Großen und Ganzen ist Miriam eine extrem wertvolle Angestellte ihres Unternehmens. Nur: Sie selbst merkt es nicht. Sie hat sehr wenig Selbstwertgefühl und fühlt sich darin auch ständig bestätigt, denn ihr passieren laufend Fehler – denkt sie. Warum? Weil sie eine verzerrte Wahrnehmung auf ihre Leistung hat! Zwei der oben genannten Faktoren beeinflussen sie hier direkt:

    • Durch ihre eigene Veranlagung (geringes Selbstbewusstsein) erinnert sie sich ganz leicht an ein Dutzend Fehler, die sie letzten Monat gemacht hat, aber kaum an Triumphe.
    • Und weil negative Erfahrungen generell einen tieferen Eindruck hinterlassen als positive Erfahrungen (mehr dazu in unserem Beitrag zu Verlustaversion), wird ihre Wahrnehmung noch zusätzlich verzerrt.

    Würde ihr jemand die Wirkungsweise von Urteilsheuristiken erklären, könnte sie gezielt an ihrer Wahrnehmung arbeiten.

    Ankerheurstik

    Nils ist in der Nähe von Münster aufgewachsen und ein absoluter Cappuccino-Liebhaber. In seiner Ortschaft hat er immer 2,50 Euro für das Heißgetränk bezahlt. Ob er will oder nicht: Für ihn ist das nun der „normale“ Preis für einen Cappuccino. Obwohl er als Cappuccino-Spezialist weiß, dass er damit weit unter dem deutschen Durchschnittspreis liegt. Seit er nach Bremen gezogen ist, empfindet er den zusätzlichen Euro, den er dort täglich für seine Gewohnheit abdrücken muss, als unangenehm teuer.

    Kurzum: Das Wissen, dass wir in unseren Entscheidungen und Urteilen alles andere als rational agieren, ist nicht nur gut zu haben, sondern kann sogar Leben retten. Doch wer hat uns diese Erkenntnisse ermöglicht?

    Wer hat die Urteilsheuristiken geprägt?

    Prägende Figuren bei der Erforschung der Urteilsheuristiken waren die amerikanischen Entscheidungsforscher Daniel Kahneman und Amos Tversky, die sich in den 70er und 80er Jahren unter anderem einen Namen als Gründer der Prospect Theory machten.

    Als die beiden Psychologen 1974 einen Artikel zu Urteilsheuristiken veröffentlichten, sorgte dieser innerhalb kürzester Zeit für Aufruhr in der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Denn der Standpunkt von Kahneman und Tversky war unmissverständlich: Den Homo Oeconomicus gab es nie, und wir sind alle irrationale Entscheider:innen. Anders gesagt: Wir nutzen weder Vernunft noch analytisches Denken, um Urteile zu fällen. Stattdessen verwenden wir einige wenige und sich wiederholende Muster zu Beurteilung der Realität. Warum? Weil das für unser Gehirn am wenigsten Anstrengung bedeutet.

    Der Prozess der Urteilsheuristiken lässt sich dabei in 3 Schritte unterteilen:

    1

    Informationen werden selektiert

    2

    die selektierten Informationen werden interpretiert

    3

    ein Urteil wird gefällt oder eine Entscheidung getroffen

    Tipps für Dein Marketing

    01 Achte auf die Zielgruppe!

    Wie schätzt deine Zielgruppe Risiken ein und welche Szenarien bestätigen ihre vorgefertigten Meinungen und Urteile? Ein Beispiel: Stelle dir vor, Du wärst Inhaber:in einer Eventlocation. Deine Zielgruppe und deren Persönlichkeit kennst du ganz genau. Falls deine Zielgruppe zu den familien- und heimatgebundenen Menschen gehört, könntest du potenzielle Kund:innen wahrscheinlich ziemlich schnell mit folgenden Worten überzeugen:

    „Hochzeit ohne Familie? Das geht einfach nicht“.

    Deine Zielgruppe fühlt sich bei diesem Spruch bestätigt – hier ist keine lange Erläuterung nötig. Klar, das weiß doch jedes Kind: Familie gehört zu einer tollen Hochzeit dazu. Tja, vielleicht weiß das jedes Kind – dominantere Persönlichkeitstypen bleiben von diesen Worten jedoch völlig ungerührt. Hier kannst du dich auf eine direkte Trotz-Reaktion im Kundenhirn gefasst machen. Wieso soll das nicht gehen?

    Wie du diese Zielgruppe stattdessen rumkriegst? Vermutlich helfen folgende Worte:

    „Ihre Hochzeit steht an? Wir sagen: Wenn Sie nicht jetzt auf den Putz hauen, wann dann? Lassen Sie es krachen – bei uns.“

    Und? Kannst du erraten, auf welche Urteilsheuristik sich dieser Tipp bezieht? Vielleicht ist es nicht ganz offensichtlich – aber es ist die Verfügbarkeitsheuristik. Denn wenn du die richtigen Argumente und das richtige Wording nutzt, fühlt sich deine Zielgruppe nicht nur in ihrem Glauben bestätigt, sondern kann sich die ganze Dienstleistung bzw. das ganze Szenario viel besser vorstellen. Schon überzeugt!

     

    02 Emotionale Argumente nach oben!

    Das gilt VOR ALLEM für Dienstleistungsunternehmen. Ein Beispiel: Stelle dir vor, du würdest ein Luxushotel leiten. Eine Nacht in deiner luxuriösen Unterkunft kostet sagenhafte 500 Euro. Was geht im Kundenkopf vor, wenn eine solche Entscheidung zu treffen ist?

    Die meisten Anbieter gehen davon aus, dass ihre Kund:innen die rationale Frage stellen: „Sind 500 Euro ein angemessener Preis für den Service?“ Dachtest du auch? Perfekt – dann lernst du hier was 😊 Denn was sich Kund:innen tatsächlich (unterbewusst) fragen, um ihr Urteil zu fällen, ist: „Wie sehr mag ich das Unternehmen?“ Sympathie und die Bereitschaft zu Vertrauensvorschüssen sind bei Dienstleister:innen extrem wichtig. Denn im Gegensatz zu Produkten kann man sie in der Regel nicht zurückgeben. Nicht umsonst nennt man Dienstleistungen auch Vertrauensgüter.

    Jetzt, wo du weißt, welche Frage sich Kund:innen stellen (nämlich die emotionale), kannst du auch konkret darauf antworten. Mache dich sympathisch, zeige dich von deiner persönlichen Seite!

     

    03 Preise hoch

    Nein, das soll nicht heißen, dass du alles teurer machen sollst! Sondern:

    • dass du alte Preise bei Reduzierungen gerne durchgestrichen auf der Webseite behalten
    • und die teuersten Wahlprodukte an erster Stelle nennen solltest.

    Und schon ist der Anker gesetzt: Die niedrigeren Preise erscheinen im Vergleich noch viel niedriger, es wird mehr gekauft 😊. Um völlig transparent zu bleiben: Wir haben im Webwild bzw. Waldhirsch Team eine Weile diskutiert, ob dieser Tipp ein Ticken zu manipulativ ist. Doch im Endeffekt ist es eben leider so: Wenn du die Kontrolle nicht selbst in die Hand nimmst, greifen die Urteilsheuristiken trotzdem – nur eben wahrscheinlich nicht zu deinemVorteil.

    Soll heißen: Außer du bist auf der ersten Position für jede relevante Suchanfrage, ist es wahrscheinlich, dass Kund:innen auf dem Weg zu dir schon über andere Preise gestolpert sind.

    Selbst wenn der Preis gar nicht vergleichbar ist, weil die Produkte oder Leistungen dir qualitativ auf keinen Fall das Wasser reichen: Der Anker ist gesetzt und deine Qualitätsware bzw. Leistung erscheint teuer.

    Fazit

    Urteilsheuristiken sind kognitive Verzerrungen, die allein schon durch ihr häufiges Auftreten im Alltag eine große Relevanz haben. Darüber hinaus beeinflussen sie uns auch stark in unserem Kaufverhalten. Für Unternehmer:innen und Marketer:innen ist es von Vorteil, sich über die verschiedenen Urteilsheuristiken und deren Wirkungsweise im Klaren zu sein, um Produkte und Leistungen möglichst hirngerecht vermarkten zu können.

    Inspirationsquellen: 

    Studienarbeit zu Entscheidungsheuristiken

    Artikel der Universität Heidelberg

    Artikel der Wirtschaftswoche